Region Hannover
22.04.2025 – Allgemeinverfügung der Region Hannover zur Untersagung des Inverkehrbringens von nikotinhaltigen Lebensmitteln
Zum vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutz erlässt die Region Hannover gemäß § 39 Absatz 1 und Absatz 4 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe b und Absatz 2 Satz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2017/625 folgende Allgemeinverfügung:
- Das Inverkehrbringen von Nikotin als Lebensmittel und von Lebensmitteln, denen Nikotin zugesetzt wurde, wird untersagt. Hiervon ausgenommen sind von der Europäischen Union zugelassene (neuartige) und in der Unionsliste aufgeführte Lebensmittel gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/2283.
- Die Untersagung gilt für alle Lebensmittelunternehmen und Betriebsstätten mit Sitz, Niederlassung, Verkaufsstelle sowie vergleichbaren Stellen im Gebiet der Region Hannover. Die Untersagung gilt sowohl für den stationären Handel als auch für den Versandhandel und den Verkauf im Internet.
- Die sofortige Vollziehung dieser Allgemeinverfügung wird gemäß § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
- Diese Allgemeinverfügung wird durch öffentliche Bekanntmachung bekannt gegeben. Sie gilt mit dem auf die Bekanntgabe folgenden Tag als bekannt gegeben.
Begründung
Ermächtigungsgrundlage für die getroffenen Anordnungen sind § 38 Abs. 1 S. 1 sowie § 39 Abs. 1 und Abs. 4 LFGB i.V.m. Art. 138 Abs. 1 S. 1 Buchstabe b und Abs.2 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2017/625 sowie § 35 S. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Danach kann die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um einen Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zu unterbinden, künftige Verstöße zu verhindern sowie Verbraucher*innen vor Gesundheitsgefahren oder Täuschung zu schützen.
Die Zuständigkeit der Region Hannover für den Erlass dieser Allgemeinverfügung ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 7 der Verordnung über behördliche Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes (ZustVO-Verbraucherschutz, Nds. GVBI. 2024 Nr. 20). Danach ist der Fachbereich für Verbraucherschutz- und Veterinärwesen der Region Hannover für Maßnahmen nach dem LFGB zuständig.
Aufgrund der pharmakologischen Wirkung von Nikotin, seiner bekannten Toxizität und der fehlenden Festlegung eines akzeptablen täglichen Aufnahmewertes (ADI) stellt der Verzehr solcher Produkte ein Gesundheitsrisiko dar. Bereits geringe Mengen können unerwünschte Wirkungen hervorrufen.
Die Untersagung des Inverkehrbringens ist daher sowohl zum Schutz der Verbraucher*innen vor nicht ausreichend geprüften gesundheitlichen Risiken als auch zur Sicherstellung der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften erforderlich.
Ein milderes, ebenso geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich. Eine Einzelfallregelung würde dem Ziel einer effektiven und flächendeckenden Gefahrenabwehr widersprechen und wäre mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden.
Die Maßnahme ist geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Sie ist das einzige Mittel, mit dem das Inverkehrbringen nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel zuverlässig unterbunden werden kann. Insbesondere ist die Maßnahme angemessen, da sie lediglich dazu dient, ein bereits bestehendes gesetzliches Verbot wirksam durchzusetzen.
Zu I.
Lebensmittel sind gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Hierzu zählen auch Produkte, denen Nikotin gezielt als Zutat zugesetzt wurde und die bestimmungsgemäß oral aufgenommen werden sollen – insbesondere sogenannte „Nikotinbeutel“ („Nicotine Pouches“), die zwischen Lippe und Zahnfleisch platziert werden und deren Inhalt über die Mundschleimhaut aufgenommen wird.
Bei der Substanz Nikotin handelt es sich sowohl in isolierter Form pflanzlicher Herkunft (z. B. aus der Tabakpflanze der Gattung Nicotiana) als auch in synthetisch hergestellter Form um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a Ziffer i bzw. iv der Verordnung (EU) 2015/2283 (Novel-Food-Verordnung). Ein nennenswerter Verzehr innerhalb der Europäischen Union vor dem 15. Mai 1997 ist nicht belegt, weshalb eine verkehrsrechtliche Zulassung erforderlich ist. Der molekulare Aufbau beider Varianten ist identisch, weshalb sie chemisch gleichzusetzen sind.
Eine Zulassung von Nikotin als neuartiges Lebensmittel liegt bislang nicht vor. Auch ein Eintrag im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission fehlt. Das Fehlen eines solchen Eintrags kann als Indiz für das Nichtvorliegen eines entsprechenden Zulassungsantrags durch die Inverkehrbringer gewertet werden.
Gemäß Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283 dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorgaben in den Verkehr gebracht oder in und auf anderen Lebensmitteln verwendet werden.
Diese Vorschriften dienen dem präventiven Gesundheitsschutz der Verbraucher*innen. Im Rahmen eines Zulassungsverfahrens wird unter anderem geprüft, ob ein neuartiges Lebensmittel auf Basis der verfügbaren wissenschaftlichen Daten gesundheitlich unbedenklich ist, Verbraucher*innen nicht irregeführt werden und ein etwaiger Ersatz eines etablierten Lebensmittels keine nachteiligen Auswirkungen auf die Ernährung hat.
Da Nikotin derzeit nicht in der Unionsliste zugelassener neuartiger Lebensmittel enthalten ist, ist es in der Europäischen Union nicht verkehrsfähig. Es ist daher verboten, nikotinhaltige Produkte als Lebensmittel in Verkehr zu bringen oder in bzw. auf Lebensmitteln zu verwenden.
Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang insbesondere sogenannte Nikotinbeutel, die als konsumfertige Einzelportionen verkauft werden und Nikotin als wertbestimmende Zutat enthalten. Diese Produkte sind eindeutig zur oralen Aufnahme bestimmt und erfüllen damit die Definition eines Lebensmittels im Sinne von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.
Nicht von der Allgemeinverfügung umfasst sind hingegen:
- Lebensmittel, die natürlicherweise in Spuren Nikotin enthalten (z. B. Tomaten, Kartoffeln oder Auberginen aus der Gattung Solanum)
- Arzneimittel wie Nikotinkaugummis oder -pflaster, die im Rahmen einer Nikotinersatztherapie verwendet und gemäß Arzneimittelgesetz (AMG) zugelassen sind
- etwaige zugelassene (neuartige) Lebensmittel mit Nikotin, sofern sie in der Unionsliste gemäß Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/2283 aufgenommen wurden
Zu II.
Zur Wahrung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes, zur Verhütung von Gesundheitsgefährdungen sowie zur wirksamen Durchsetzung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften erstreckt sich die Untersagung des Inverkehrbringens sowohl auf den stationären Handel als auch auf den Versandhandel und den Verkauf über das Internet (sog. Onlinehandel) im Geltungsbereich dieser Allgemeinverfügung.
Eine Differenzierung nach Art oder Umfang des Vertriebsweges wäre nicht zweckdienlich, da sämtliche Formen des Inverkehrbringens gleichermaßen geeignet sind, nicht verkehrsfähige nikotinhaltige Lebensmittel in den Verkehr zu bringen und damit die Verbraucher*innen potenziellen Risiken auszusetzen. Auch der Internethandel nimmt bei der Vermarktung derartiger Produkte eine zunehmend zentrale Rolle ein.
Dabei ist es unerheblich, ob das Inverkehrbringen entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt. Maßgeblich ist allein, dass das jeweilige Produkt mit dem Ziel abgegeben wird, es einem Dritten zum Verzehr bereitzustellen.
Zu III.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stützt sich auf § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die sofortige Vollziehung kann im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet werden.
Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung hätte eine Klage gegen diese Allgemeinverfügung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Das würde bedeuten, dass die Wirkung der Allgemeinverfügung bis zur gerichtlichen Entscheidung ausgesetzt wäre.
Das Inverkehrbringen von Nikotin als Lebensmittel oder von Lebensmitteln, denen Nikotin zugesetzt wurde, ist jedoch bereits gesetzlich untersagt. Die Allgemeinverfügung dient ausschließlich der Durchsetzung bestehender rechtlicher Vorschriften, insbesondere des Verbots nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/2283.
Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung ist daher gegeben. Die Maßnahme dient dem Schutz der menschlichen Gesundheit sowie der Verbraucher*inneninteressen. Durch die sofortige Vollziehung wird verhindert, dass nicht verkehrsfähige und gesundheitlich bedenkliche Produkte während der Dauer eines Rechtsmittelverfahrens weiterhin in Verkehr gebracht werden können.
Die Anordnung ist erforderlich, weil ohne sie das gesetzlich bestehende Verkehrsverbot faktisch ins Leere laufen würde. Die mit der Verfügung verfolgten Schutzziele würden durch die Dauer eines Hauptsacheverfahrens unterlaufen.
Angesichts der hohen Bedeutung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes haben wirtschaftliche Interessen der betroffenen Unternehmen hinter dem Schutzinteresse der Allgemeinheit zurückzustehen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist daher notwendig und angemessen.
Zu IV.
Diese Allgemeinverfügung wird gemäß § 41 Abs. 3 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) durch öffentliche Bekanntmachung bekannt gegeben. Sie gilt mit dem auf die Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben.
Gemäß § 41 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 VwVfG kann in einer Allgemeinverfügung ein abweichender Bekanntgabetag bestimmt werden, frühestens jedoch der Tag nach der ortsüblichen Bekanntmachung. Von dieser Möglichkeit wird im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht, um eine zeitnahe Wirksamkeit der Maßnahme zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen.
Die öffentliche Bekanntgabe erfolgt im Internet unter der Adresse www.bekanntmachungen.region-hannover.de mit Hinweis darauf in den Tageszeitungen NP, HAZ und Neue Deister Zeitung.
Die Anordnungen bleiben bestehen, bis diese widerrufen werden.
Hinweis
Die Strafbarkeit bzw. Ordnungswidrigkeit von Zuwiderhandlungen gegen diese Allgemeinverfügung ergibt sich insbesondere aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 29 der Verordnung (EU) 2015/2283 und § 3 Abs. 2 und 3 der Verordnung über neuartige Lebensmittel i.V.m. § 59 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe a sowie bei fahrlässigem Handeln § 60 Abs. 1 Nr. 2 des LFGB.
Ihre Rechte
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim Verwaltungsgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, erhoben werden.
Die Klage kann schriftlich, zur Niederschrift der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form gemäß § 55a VwGO eingereicht werden.
Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung hat eine Klage keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO). Es kann jedoch beim Verwaltungsgericht Hannover ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden.
Hannover, den 22.04.2025
Im Auftrage
Dr. Spieler